"Muss
man...?" ist mein neustes und auf viele Arten kurzweiligstes
Autorenprojekt. In dieser als Kolumnenserie geplanten Veröffentlichung
werde ich mir zu vielen Themen die Frage stellen, ob man etwas Bestimmtes
tun muss. Und natürlich werde ich sie auch beantworten. Im oberen Bereich
findet sich das Inhaltsverzeichnis, mit dessen Hilfe man schnell und
komfortabel zum neusten Text gelangt. Und natürlich sind Anregungen
herzlich willkommen. Viel Spaß.
# 1 -
04.07.2006: Muss man diese Kolumne lesen?
# 2 - 04.07.2006: Muss man Fußball-WM gucken?
# 3 - 17.07.2006: Muss man 50 Paar Schuhe haben?
# 4 - 27.07.2006: Muss man seinen Schreibtisch
aufräumen?
Muss
man diese Kolumne lesen?
Nein,
muss man nicht. Wir leben zum Glück in einem Land, das zumindest frei
genug ist, als das jeder selbst auswählen kann, was er gerade gerne lesen
möchte. Man stelle sich nur mal vor, dass plötzlich ein
Kolumnenlesepflichtgesetz – kurz KLPG – erlassen wird, welches uns
dazu verdonnert, unsere kostbare Lebenszeit mit dem Lesen von womöglich
zweitklassigen Kolumnen drittklassiger Autoren zu verbringen. Das Ganze
natürlich täglich, Bildung ist erste Bürgerpflicht. Nicht dass mich
jemand falsch versteht: Ich denke bei drittklassigen Autoren nicht an Schüler
der dritten Klasse. Von denen fände ich das Verfassen einer Kolumne sehr
beachtlich! Vielleicht ist das sowieso ein ungeschickt gewählter Start in
eine hoffnungsvolle Serie von Kurztexten, aber in diesem Fall war
„drittklassig“ tatsächlich wertend gemeint. Ist das für mich bzw.
meine kleine Karriere schon der Anfang vom Ende? Möglicherweise bin ich
selbst in meiner Eigenschaft als Schreiberling ja auch nur zweitklassig.
Oder noch schlimmer: Auf der nach unten offenen Niveauskala gar nicht mehr
darstellbar? Und wer soll genau das eigentlich entscheiden? Ich bin
arrogant genug, diese Frage selbst zu beantworten und sogar zu behaupten,
das sei ganz einfach: Die Entscheidung trifft der geneigte Leser höchstpersönlich.
Und zwar bitte jeder für sich. Meinungsfreiheit. Sie wissen schon... man
darf alles denken, sollte nur vielleicht ab und an aufpassen, wem man es
sagt und wie man es formuliert. Wenn man schreibt, muss man sogar noch
viel vorsichtiger sein, denn Geschriebenes hält meistens länger, als
Gesagtes. Papier ist geduldig, aber vor allem im Vergleich zu Luft besser
als Schriftträger geeignet. Oder hat ihr Drucker schon einmal gemeldet:
„Mir geht die Luft aus!“?
Da hätten wir nun also die brandneue exklusive Serie unter dem Titel
„Muss man...?“ und damit verbunden die Frage: Muss man „Muss
man...?“ lesen? (Man beachte die wundervolle Doppelung des
Kolumnentitels. Ich will damit eigentlich nur sicherstellen, dass er nicht
vergessen wird. Wiederholungen helfen ja bekanntlich beim Einzug gerade
erfahrener Fakten ins Gedächtnis.) Falls jemand bis zu dieser Stelle
gelesen haben sollte und die Frage beantworten möchte, auf welcher
Niveauhöhe meine Kolumne liegen wird, so muss ich ihm doch dazu raten,
sie zu lesen. Keine Angst, ich werde mich nicht in die Fußgängerzone
stellen und militanten Missionsbeauftragten gleich auf Passanten zugehen
mit den Worten: „Lesen Sie dieses Buch!“. Ganz einfach deshalb, weil
es noch kein Buch gibt und in naher Zukunft keines geplant ist. Aber ich
schweife ab, man möge mir das verzeihen. Ich bin schließlich neu hier.
Noch einmal mein Appell: Lesen Sie! Nicht nur diesen ersten Text, sondern
auch weitere Texte, die sicher kommen werden.
Da ich Ihnen jetzt Interesse unterstelle – wieso sonst hätten Sie bis
zum Ende des Textes lesen sollen – beantworte ich die Eingangsfrage neu:
Natürlich muss man diese Kolumne lesen! Wie sonst sollte man sich ein
Urteil darüber bilden können, ob sie zu etwas taugt?
Muss
man Fußball WM gucken?
Nein, muss man nicht. Wir dürfen nicht nur lesen, was wir
wollen, sondern auch im Fernsehn schauen, was wir wollen. Die in diesen
Wochen allgegenwärtigen Großbildleinwände und Videowürfel schließe
ich der Einfachheit halber in den Begriff „Fernsehn“ mit ein. Na gut,
der Konsum bewegter Bilder mit grünem Hintergrund unterliegt natürlich
einigen Beschränkungen, z.B. der Größe bzw. Breite und dem
Alkoholisierungsgrad des Vordermannes, der zuverlässigen Funktion von
Beameranlagen und nicht zuletzt den Auflagen der GEZ. Aber selbst wenn ich
davon ausgehe, dass alle Rahmenbedingungen für einen legalen Fußballabend
mit ungehinderter Sicht auf den heiligen Rasen geschaffen sind, weiß ich
nicht, wieso ich das unbedingt gucken sollte. Schon mein Musiklehrer
bezeichnete Fußball damals (mein Alterungsprozess wird auch nicht
langsamer) immer als „Proletensport“. Und meine Mutter pflegte zu
sagen: „Wenn ich einmal reich bin, schenke ich denen noch 20 weitere Bälle,
dann müssen sie sich nicht um den einen Ball kloppen.“ Kurz
zusammengefasst bedeutet das: Mein Interesse für Fußball ist gleich
null. Vor Beginn der WM hatte ich gerade mal mitbekommen, dass Olli Kahn
nur noch die Nummer zwei ist und dass es für die Stickersammelalben von
Panini Jens Lehman als „Überaufkleber“ für Kahn gibt. Meinetwegen hätte
die Nachricht von Drafi Deutschers Ableben den Journalisten mehr wert sein
können als nur einen kurzen zweispaltigen Artikel am Rand auf der unteren
Hälfte einer Titelseite. Auch dass unser deutscher Bär „Bruno“ alias
„JJ1“ letztendlich erschossen wurde – und das, wo seit Jahrzehnten
versucht wird, diverse Tierarten vor dem Aussterben zu schützen –
tauchte nur am Rande in den Berichterstattungen auf. Wenn er sich bärengerechter
verhalten hätte, hätte man ihn leben lassen. Was ist da mit Olli Kahn?
Verhält die Nummer zwei im Kasten sich noch torwartgerecht genug, um
nicht den finnischen Jägern ins Netz zu gehen? Er spielt scheinbar eh
regelmäßig mit seinem Leben, hält er sich doch direkt vor dem Netz auf
und ist immer wieder Schüssen aus nächster Nähe ausgesetzt. Vielleicht
hätten Handschuhe unser Bärchen retten können? Damit habe ich aber
schon weit ausführlicher über Bruno berichtet als die lokalen Käseblätter
und komme zurück zur Fußball WM. Olli Kahn lebt ja noch, auch wenn er
Lehmanns Glanzleistungen mit gewohnt grimmiger Miene von der Bank aus zur
Kenntnis nimmt. Und die Finnen waren bei der WM – außer für Bruno –
eh nicht dabei.
So bunt wie im Moment war Deutschland noch nie, die Identifikation mit den
Farben schwarz-rot-gold steigt in ungeahnte Sphären und überall feiern
Fans aller Nationen und Hautfarben größtenteils friedlich dieses
gigantische Spektakel. Zeitgleich mit Beginn der WM hielt der Sommer
Einzug in Deutschland und so scheint das ganze Land rund um die Uhr im
Partytaumel zu sein. Firmen lassen an Spieltagen die Spätschichten
ausfallen, in Bürokomplexen sind Fernseher aufgestellt und jedes Spiel
erzeugt ein unbeschreibliches Gemeinschaftsgefühl (zumindest solange man
nicht als einsamer Fan im Schwedentrikot mitten zwischen Podolskifans
sitzt). Wie soll man sich da dagegen wehren, sich von der Euphorie und der
ansteckenden Freude mitreißen zu lassen? Und vor allem: Warum?
Das führt mich zu Version zwei meiner Antwort auf die Frage, ob man die
Fußball WM gucken muss: Natürlich muss man die gucken! Wie sonst soll
man morgen früh mitreden können, wenn Familie und Kollegen nur Italien
gegen Deutschland im Kopf haben? Ich muss jetzt übrigens weg, in fünf
Minuten ist Anpfiff.
Muss man 50 Paar Schuhe haben?
Nein, muss man nicht. Vor allem „Mann“ muss garantiert keine 50 Paar
Schuhe haben. Es sei denn, sie müssen zur täglich wechselnden Haarfarbe
eines nichtheterosexuellen Berliner Szenefrisörs passen. Aber das ist ein
anderes Thema... Was soll man (ich verwende dieses Wort wieder als
geschlechtsunspezifischen Allgemeinbegriff) denn auch mit so vielen
Schuhen? An zwei Füßen kann man gleichzeitig immer nur ein Paar Schuhe
tragen, wenn man die Innenschuhe von Eishockeyschlittschuhen jetzt mal
nicht als eigenständiges Paar betrachtet. Wer von uns hat mehr als zwei Füße?
Die wenigsten. Dementsprechend stehen grundsätzlich 49 Paar Schuhe
unbenutzt zu Hause rum und versorgen die Wohnung je nach Veranlagung des
Trägers mit einem unterschwelligen Käsearoma und ungeahnten
Stolperfallen. Ferner kosten Schuhe jede Menge Geld. Selbst wenn sie nicht
von Manolo Blahnik aus limitiertem extraweichen Ziegenleder handgeklöppelt
sind, bewegt sich der Kaufpreis für Schuhe schnell in den dreistelligen
Bereich. Und dann ist es mit der bloßen Anschaffung allein leider nicht
getan. Die Trophäen der weiblichen Fußschmucksafaris durch die
Einkaufszentren und Metropolen der Welt müssen auch irgendwo
untergebracht werden. Man (in diesem Fall sollte ich wohl besser „frau“
schreiben) könnte die guten Stücke natürlich einfach unter dem Bett
verstauen. Aber dann müssten die unabdingbaren Winter- und Westernstiefel
hingelegt werden und würden in kürzester Zeit einstauben. Die
Strasssteinchen auf den Samstagsabendsausgehsandaletten wollen bestimmt
auch geschützt werden. Und man (und frau) stelle sich mal vor, dass ein
achtbeiniger Mitbewohner dort sein Netz webt. In Schuhen ist das einzige
erwünschte Netz der Netzstrumpf! Die Samtpantoletten lasse ich bei der
unter dem Bett angesiedelten Dreckproblematik mal unerwähnt, ich war ja
noch bei der Unterbringung.
Es nützt nichts: für 50 Paar Schuhe braucht man mehrere ausgewachsene
Schuhschränke, die alle im Korridor oder Kämmerchen montiert werden
wollen. Wenn nun alle Objekte der Begierde gekauft und adäquat
untergebracht sind, fehlt ihnen noch immer die Pflege. Es ist also auch
noch ein Großeinkauf in der örtlichen Drogerie vonnöten, um Imprägnierspray,
Lederfett, Lacklederpflege, Schwämmchen, Bürsten, Poliertücher und –bürsten,
Schuhcremes in unterschiedlichen Farben, Blitzputzschwämmchen und
Ersatzschnürsenkel zu bevorraten. Neben den finanziellen Erfordernissen
braucht die Pflege der Schuhe zu guter Letzt auch noch etwas, das
heutzutage noch kostbarer ist, als alles andere: Zeit! Alles in allem ist
es also schlicht viel zu teuer und aufwändig, so viele Schuhe zu haben.
Aber betrachten wir es mal von der anderen Seite (hier sei es den Männern
verziehen, wenn sie nicht weiterlesen): Was wären wir Frauen ohne unsere
Schuh- und Taschenticks? Wie langweilig wäre es, wenn wir nicht zu jedem
Outfit und jeder Location überlegen könnten, welche Schuhe die passenden
sind? Keine dünnsohligen Pumps im Drafthouse, weil da immer Scherben
rumliegen. Das, meine Herren, sind Lösungsorientierung und
Planungstalent! Aber davon kann auch nur jemand berichten, der folgenden
Satz gesagt bekam: „Du leidest an der typischen Frauenkrankheit. Jedes
Mal, wenn ich dich sehe, hast du andere Schuhe an!“
Stimmt, ich kann einen Menschen 50 Mal treffen, bevor sich die Schuhe an
meinen Füßen zwangsweise wiederholen. Und als nächstes hätte ich gerne
noch braune Chuck’s.
Muss man seinen Schreibtisch aufräumen?
Nein, muss man nicht. Wozu auch? Den meisten Schreibtischen
ist es eh anzusehen, dass ihr Besitzer nach dem Motto „Nur der
Kleingeist hält Ordnung – das Genie beherrscht das Chaos“ handelt.
Oder um noch eine weitere Phrase passgenau in den Text einzufügen: „Wer
Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen“. Klar, alle Ratgeber zum
Selbstmanagement versuchen uns Schreibtischtäter zu ermutigen, dass man
sich gerade dann Zeit zum Aufräumen nehmen soll, wenn das Chaos am größten
ist. Die zwei (wirklich nur zwei???) Stunden, die die Entrümpelung in
Anspruch nimmt, hole man doch locker wieder auf und man arbeite hinterher
viel motivierter und entspannter. Super, ich bin begeistert. Und ich würde
liebend gerne mal das Gesicht meines Chefs sehen, wenn ich einfach alles
stehen und liegen lasse, um mich ein paar Stunden nur meinem Schreibtisch
zu widmen. Denn zwecks der wirklich gründlichen Entrümpelung müsste ich
selbstverständlich als allererstes den Störfaktor „Telefon“
ausschalten (ich will mich ja konzentrieren können), gleich gefolgt vom
nicht minder zeitfressenden wenn auch akustisch erträglicheren Computer
(dann kann auch niemand mehr „Ruf mal dringend Herrn Schulze
an“-Zettelchen in die Tastatur stecken). Kundenkontakt? Tut mir leid,
ich habe ein Date mit meinem Schreibtisch. Plötzliche von außen nicht
nachvollziehbare Verschiebung aller Prioritäten. In diesen zwei Stunden läge
meine Produktivität schlicht bei Null, was isoliert betrachtet
wirtschaftlich äußerst ungünstig wäre. Ob die Konzernaktien dadurch sänken?
Die Häufung von Konjunktiven in den letzten Sätzen macht den
sprachgewandten Lesern schon deutlich, dass ich von der Idee, mir eine
Schreibtischaufräumarbeitsinsel zu schaffen, gar nichts halte. Neben dem
Produktivitätseinbruch und dem unterstellten
Wut-bis-Verzweiflungsausbruch meines Chefs gibt es einen weiteren Grund
aus eigener Erfahrung, die Theorie nicht weiter in die Praxis umzusetzen:
Immer, wenn ich aufgeräumt habe, finde ich NICHTS wieder. Alles ist zwar
an total logisch erscheinenden Plätzen verstaut und mir gähnt plötzlich
die Leere der frisch gewienerten Tischplatte in beängstigendem Fortissimo
entgegen, aber die Sachen, die vorher alle blind gegriffen werden konnten,
scheinen im Nirvana versunken zu sein. Bermudadreieck Rollcontainer.
Das spricht alles ziemlich dafür, schlicht den Überblick zu behalten und
sich das Aufräumen zu sparen. Auf der anderen Seite ist es natürlich
schon schön, wenn man das Frühstücksbrettchen und den Schokocappuccino
nicht auf einem schiefen Turm unbeantworteter Briefe und Papiere mit dem
Vermerk „abzuheften“ balancieren muss, während man zwischen duschen
und bügeln die Blog- und Gästebucheinträge der letzen Nacht genießt.
Den größten Vorteil einer gründlichen Entrümpelung habe ich aber
bisher unterschlagen:
Wenn ich auf meinem Schreibtisch Ordnung hielte, hätte ich hier nicht
eine halbe Stunde lang dieses Thema abhandeln müssen. Ich hätte mir
einfach mein Notizbuch gegriffen und eines der geplanten Kolumnenthemen
bearbeitet.
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